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sascha bruns verlag


Verzaubert auf Juist

Eine romantische Kurzgeschichte über das Verliebtsein

Cover des Buches: Verzaubert auf Juist
Verzaubert auf Juist

Theaterautor Till verbringt ein paar freie Tage auf Juist, die Ferieninsel seiner Kindheit. Auf der Suche nach Ruhe vom Alltagsstress läuft ihm immer wieder ein Gitarrenspieler und dessen Freundin über den Weg. Beim Schreiben eines Theaterstücks in den Dünen erklingt plötzlich ein Piratenlied und inspiriert ihn.

Leseprobe

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Stolpernd verlasse ich die Fähre und habe endlich wieder Inselboden unter den Füßen. Kindheitserinnerungen sind es, die eine tiefe Verbindung meiner Seele mit diesem langgestreckten Sandhaufen in der Nordsee erzeugen. Es ist sonnig, eine leichte Brise salzig duftender Seeluft streift über mein Gesicht. Tief inhalierend setze ich meinen Rucksack auf, ziehe die Gurte straff – habe nur wenig Gepäck dabei, werde wenige Tage bleiben. Eine kurze Auszeit, die ich im Moment wieder einmal dringend benötige.
Auf die harte Tour musste ich lernen, die Signale meines Körpers und meiner Psyche zu verstehen – und zu beachten.
War ziemlich knapp, damals. Aber eins weiß ich genau: nie wieder! Letztes Mal ist es noch relativ gut gelaufen, wer weiß, wie es beim nächsten Mal enden würde. Wer weiß, ob ich noch einmal soviel Glück hätte. Diese Gedanken habe ich aus der Psychiatrie mitgenommen und seit dem sind sie die „Alarmsirene“ meiner Psyche. Immer, wenn ich nicht richtig auf mich aufpasse, holt sie diese Gedanken hervor und hält sie plakativ vor mein inneres Auge. Dann weiß ich, dass ich wieder mehr Acht auf mich geben muss.
Diesmal konnte ich mir ein paar Tage frei nehmen, hierher fahren. Lesen im Zug, Wellen gucken auf der Fähre. Nun werde ich zu meiner kleinen Pension laufen, den Weg genießen, die Luft, die Sonne. Jeder Schritt wird mich verlangsamen. Ich werde genauso schnell wie sonst laufen, genau die selben Schritte machen, aber meine innere Uhr wird mehr und mehr im gemächlichen Rhythmus der Insel ticken.
Noch ist es voll hier, wie immer kurz nachdem die Fähre angekommen ist. Pferdekutschen, mit Touristen beladen, fahren an mir vorbei. Hufeisen klappern rhythmisch auf dem Pflaster. Juister Geräuschkulisse, frei von Autolärm. Im Ort genieße ich das bunte Treiben, lausche den Gesprächsfetzen der entgegenkommenden Leute. Kurze Unterhaltungsfragmente, deren Bedeutungen mir verschlossen bleiben – was sie dadurch für mich reizvoll machen.
„… kannst du doch auch bei …“
„… dass du das sagst, sonst …“
„… lieber das rote! Mama! Bitte …“
Vieles ist hier noch wie früher, manches hat sich geändert. Vermutlich würde ein Juister etwas ähnliches auch über meine Heimat sagen können, wenn er dort nur alle paar Jahre Urlaub machen würde. Zuhause bekommt man Veränderungen nicht so leicht mit, wie an Orten, die man nur dann und wann besucht. Ähnliches gilt für die eigene Seele.

Im Ort biege ich links ab. Soviel hat sich hier nicht verändert, dass ich ein Navi bräuchte, um den Weg zu finden.
Die leichte Brise, die sanftmütig über die Insel zieht, trägt einen verführerischen Duft aus dem Fischrestaurant in meine Nase. Jedenfalls muss ich mir keine Gedanken mehr machen, wo ich nachher essen werde. Und noch etwas trägt die Luft zu meinen Sinnen: die leisen Töne einer Gitarre.
Eine Melodie, die ich kenne, aber nicht benennen kann. Wenige Schritte später sehe ich das Instrument bei einem der Tische vor dem Fischrestaurant. Mein Blick wandert zum Gesicht des Musikers und mich trifft ein heftiger Schlag. Ein Schmerz in meiner Schulter. Vor mir eine Kutsche.
„Nach vorne gucken!“, ruft ein älterer Herr, offensichtlich ein Fahrgast, vielleicht ebenfalls ein neuer Urlaubsgast, auf dem Weg in seine Unterkunft.
„Alles in Ordnung?“, fragt er etwas besorgt.
„Ja, danke, alles gut“, stottere ich etwas beschämt über meine Tollpatschigkeit und laufe schnell weiter.
Außer Sichtweite zwingt sich das Gesicht des Gitarrenspielers in mein Bewusstsein. Meine Schulter schmerzt plötzlich nicht mehr, meine Füße scheinen den Boden nicht mehr zu berühren. Mein Herz pumpt ein Gefühl durch meine Adern, dass sich viel zu lange nicht mehr bei mir hat blicken lassen.
Nur kurz kann ich dieses berauschende Gefühl genießen, dann schießt eine weitere Erinnerung in mein Bewusstsein: Neben dem zuckersüßen Typen mit dem Lächeln eines Elfen auf Honigkuchen, dessen muskulöse Arme lässig aus einem, für seine breiten Schultern etwas zu schmalen marineblauen T-Shirt heraus kamen, den Ärmelstoff spannten und ihn spielend mit nur einem kleinen Zucken hätten zerreißen können, statt dessen aber die kräftigen Hände auf den Saiten des Instruments tanzen ließen, neben diesem Traum von Kerl saß eine lachende junge Frau, die vermutlich jeder Hetero attraktiv genannt hätte, und zerstört nun mein Glücksgefühl, holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück und lässt mich schmachten. Lässt mich höchstens hoffen, ihn wenigstens, vielleicht, mit etwas Glück, noch einmal wieder zu sehen, im Vorbeigehen unauffällig anzuschauen, weitere Bilder von ihm in meinem Gedächtnis abspeichern zu können. Bilder zu sammeln für Tagträume.

Beinahe träume ich an meiner Unterkunft vorbei, oder soll ich sagen: schwebe vorbei? Andere, möglicher Weise vorhandene Zeugen, würden vermutlich bei einer polizeilichen Vernehmung „Vorbeilaufen“ oder „Vorbeigehen“ zu Protokoll geben.

Nach den Formalitäten in der Unterkunft und dem, zeitlich von mir auf das absolute Minimum begrenzte, Beziehen meines Zimmers, eile ich zum Fischrestaurant zurück. Ich habe Hunger! Wegen der langen Zugfahrt. Oder wegen der Seeluft oder wegen – was weiß ich. Warum suche ich nach einer Ausrede? Was mich treibt ist die Hoffnung, dass „er“ noch da ist.

Leer! Sein Tisch wird grade abgewischt, sein Stuhl ist ran geschoben. Neue Gäste haben den Platz im Visier und laufen zielstrebig hin, bereit um in die Schlacht zu ziehen für ihr Vorrecht auf diesen Tisch.
In der Hoffnung, „er“ könnte vielleicht nach drinnen gewechselt sein, betrete ich das Lokal, obwohl ich jetzt weder Hunger noch Lust zu essen verspüre. Wenn ich jetzt einfach rausgehe, wäre mein Verhalten sehr auffällig und peinlich. Doch die Beliebtheit der Gaststätte rettet mich: kein einziger freier Sitzplatz ist zu erkennen und ich verlasse mit schlecht gespielter Enttäuschung das Restaurant, nehme den Fischgeruch jetzt eher als zu aufdringlich wahr und suche das Weite, wandere durch den Ort, schlendere über den Kurplatz, schaue Kindern am Schiffchenteich zu, wie sie ihre Bötchen auf die letzte Abenteuerreise für diesen Tag schicken.
Später, mein Magen fordert lautstark knurrend eine Aufgabe ein, entschließe ich mich, dass es ein Döner werden soll. Weder eine typisch norddeutsche Speise, noch eine juister Spezialität. Aber für mich an diesem Abend das Richtige.

Essend schlendere ich durch den Ort, habe nur noch einen Gedanken.

Irgendwann finde ich mich auf der Aussichtsplattform des Seezeichens am Ende der Seebrücke wieder, schaue aufs Wattenmeer und genieße den Abend.

Auf dem Weg in meine Unterkunft entdecke ich einen Pub, den ich noch nicht kenne. Früher war hier ein kleines italienisches Restaurant. Statt „il Tricolore“ weht nun die Flagge Schottlands über der Tür. Spontan bekomme ich Lust auf einen Scotch und betrete das Lokal, tauche ein in ein Wirrwarr aus Stimmen und ausgelassenem Lachen.
Dichtgedrängt sitzen die Gäste auf Stühlen aus dunklem Holz vor unzähligen Tischen, die, ebenso wie Wand- und Deckenverkleidung, aus selbigem Material gefertigt sind. Flackernde Kerzen akzentuieren die gekonnt versteckte Beleuchtung. Der Barkeeper winkt mir und deutet auf einen freien Hocker direkt vor ihm. Da es scheinbar der letzte verfügbare Sitzplatz ist, nehme ich seine Aufforderung dankbar an.

Ich entscheide mich für einen sechzehn Jahre alten Balvenie Triple Cask. Die Bestellung läuft etwas holprig. Der Barkeeper, mit seinen feuerroten Haaren und Dubliner Akzent würde ich ihn eher in einem Irish Pub erwarten, spricht nur Englisch. Aber an der Sprache liegt es nicht. Mit meinem Englisch gehe ich schon fast als Muttersprachler durch und der Irische Akzent hat mir noch nie Probleme bereitet. Es ist einfach zu laut.

Kurz schwenke ich den Balvenie, schaue zu, wie sich Tränen am Glas bilden. Als der erste Schluck über meine Zunge rinnt, wird es kurz leise. Fruchtig-würzig mit einer raffinierten Vanille-Note bringt der Whisky meinen Geschmackssinn zum jubilieren. Dass die kurze Stille nun von einer leicht rauchigen Stimme, begleitet durch die Klänge einer Gitarre, verdrängt wird, lässt mich mein Single Malt nur verzögert realisieren.
Suchend drehe ich mich um, entdecke eine kleine, improvisierte Bühne am anderen Ende des Pubs. Von meiner Position kann ich den Sänger nicht erkennen, weil eine Säule meiner Sicht im Weg steht. Ich beuge mich weiter vor – und erkenne …

E-Book-Ausgabe
Autor Chris Merscheider
aktuelle Auflage 1. Auflage
Anzahl der Seiten ca. 16 Normseiten
ISBN-13 978-3-945606-07-0
Art E-Book
Erstveröffentlichung 2021
Artikel-Nummer 11-017